Stuttgart (ots) –
Bald ist Anpfiff! Die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland kommt auch in den Süden. Mit Stuttgart als einem von bundesweit zehn Spielorten steigt die Stimmung dort, wo der deutsche Fußball seine Wurzeln hat. Auch sonst ist Deutschlands Süden eng mit der Historie des Fußballs verwoben. Wir präsentieren elf Geschichten rund ums Kicken aus Baden-Württemberg.
Stuttgart-Bad Cannstatt: Die Wurzeln des deutschen Fußballs
Auf dem Cannstatter Wasen nahm alles seinen Anfang: 1865 wurde dort erstmals in Deutschland Fußball gespielt. Cannstatt, damals noch nicht nach Stuttgart eingemeindet, war als die Stadt mit dem zweitgrößten Mineralwasservorkommen Europas besonders für den englischen Adel attraktiv. Auf eines der neu entstandenen Internate ging William Cail, später Schatzmeister des englischen Rugbyverbands. In einem seiner Briefe findet sich der älteste Nachweis eines Fußballspiels auf deutschem Boden. Die Frage, ob damals Fußball oder Rugby gespielt wurde, erübrigt sich. Beides nannte man einfach „Football“.
Freiburg: Wo Jogi seinen Espresso trinkt
Zwischen Freiburger Hauptbahnhof und dem Luxushotel Colombi ist es durchaus prominent gelegen und doch könnte man das unscheinbare Café Melange glatt übersehen. Keine Wimpel, keine Poster: Vielleicht hat sich Ex-Bundestrainer Joachim Löw genau deshalb das Melange als Stammcafé ausgesucht. Wobei: Der Espresso muss in jedem Fall außergewöhnlich sein. Der Weltmeister-Trainer von 2014 schätzt das Heißgetränk so sehr, dass ihm zu Amtszeiten bei jedem Interview ein Tässchen gereicht wurde. Stammgäste des Cafés geben Löw recht: Der Espresso sei der beste nördlich der Alpen. Wer Glück hat, trinkt ihn mit Jogi zusammen.
Metzingen: Weiße Weste dank schwäbischen Tüftlergeists
Die Kleinstadt Metzingen ist heute vor allem für die Outletcity Metzingen bekannt. Dort, am Fuß der Schwäbischen Alb, gelang dem Sportartikelhersteller Reusch in den 1970er-Jahren eine fußballerische Revolution. Mit Nationaltorhüter Sepp Maier entwickelte er den Torwarthandschuh mit Innenflächen aus Latex. Die neuerdings mit Kunststoff beschichteten Lederbälle flutschten damit nicht mehr so leicht durch die Hände. Angeblich hielt „Katze Maier“ deshalb so zuverlässig seinen Kasten sauber, weil er das bessere Equipment hatte. Den Innovationsvorsprung hielt Reusch über zwei Jahrzehnte und stellte die Handschuhe her, denen Torhüter vertrauen.
Stuttgart: Warum? Vhy! – Vegan essen bei Timo Hildebrand
Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Im Stuttgarter Trend-Restaurant „Vhy!“ wird lieber gehandelt, als sich in Fragen zu verlieren. Und zwar am liebsten kreativ und experimentell. Fußballer Timo Hildebrand und Künstler Tim Bengel setzen mit ihrem veganen Küchenkonzept auf Veränderung und Vielfalt – weil’s Spaß macht, lecker schmeckt und guttut. Auf den Teller kommen deswegen auch ausschließlich Bio- und Demeter-Produkte. Zum Veganismus bekehrt werden soll hier aber niemand. Dass es trotzdem passiert, ist bei den leckeren und bunten Kreationen auf Pflanzenbasis nicht ausgeschlossen. vhydowe.care
Wangen im Allgäu: Wo die WM 2006 begann
Kaum zu glauben, aber wahr: Auf dem Wangener Marktplatz begann die Weltmeisterschaft 2006. Die togolesische Mannschaft hatte sich das Allgäu als Quartier ausgesucht. Als erstes Team trafen die Westafrikaner offiziell und in Mannschaftsstärke ein. Der Empfang auf dem Marktplatz wurde live im Fernsehen übertragen. Von dort ging das Signal durchs ganze Land: Die WM hat begonnen! Unglücklicherweise war Togo auch das erste Team, bei dem feststand, dass es wieder abreisen würde. Der Verbundenheit hat es keinen Abbruch getan: Noch heute werden die Beziehungen zwischen Togo und Wangen intensiv gepflegt.
Karlsruhe: Hochburg einer jungen Sportart
In Stuttgart wurde erstmals in Deutschland Fußball gespielt, Karlsruhe aber etablierte sich bald als Hochburg der jungen Sportart. Das liegt vor allem an Walther Bensemann. An über 15 Vereinsgründungen in Süddeutschland beteiligt, gründete der deutsche Fußballpionier in Karlsruhe 1889 den International Football Club, später die Karlsruher Kickers. Man spielte auf dem Engländerplatz an der Moltkestraße, auf dem auch eines der sieben „Ur-Länderspiele“ stattfand. Teile des Ascheplatzes kann man heute noch bespielen. Auch dank Bensemann war Baden sportlich früh überlegen: Drei der ersten sieben deutschen Meistertitel gingen ins Großherzogtum, zwei davon nach Karlsruhe.
Schluchsee: Von falschen und echten Wundermitteln
Mit einem Trainingslager in Höhenluft sollte die WM 1982 für die deutsche Mannschaft zum Erfolg werden. Das Hotel Vier Jahreszeiten am Schluchsee liegt auf 1.000 Metern, der clevere Hoteldirektor versprach dem DFB wundersame Gesundheitseffekte. Dass Höhentraining erst ab 1.500 Metern beginnt, war noch nicht so geläufig. Sowieso stand bei den Nationalspielern eher eine Diskothek in Waldshut hoch im Kurs, der Begriff „Schlucksee“ wurde geprägt. Gegen Katerstimmung am nächsten Tag hatte Hotelportier Heinz Schneider ein Mittel: Dank Spiegeleiern mit Schwarzwälder Speck standen tags darauf alle Mann wieder auf dem Platz. vjz.de
Stuttgart: Ein Schwabe sorgt für Ordnung
Als der Fußball ruppiger wurde, hatte ein Stuttgarter Schiedsrichter eine bahnbrechend einfache Idee. Rudolf Kreitlein erfand Ende der 1960er-Jahre die Gelbe und Rote Karte. Zuvor brauchte er bei einem Spiel der WM 1966 in England stolze sieben Minuten, um den argentinischen Kapitän nach einem Platzverweis vom Spielfeld zu komplimentieren. Seine klare Ansage „Now is end for you!“ war dann doch nicht eindeutig genug. Kreitlein grübelte tagelang, ob es nicht ein unmissverständliches Signal für Platzverweis gäbe. Als er in London vor einer Ampel stand, fiel der Groschen. Die erste Gelbe Karte zeigte dann bei der WM 1970 mit Kurt Tschenscher aus Mannheim ein Badener.
Heidenheim: Höhenluft und Würstchenduft
555 Meter über Null: Seit dieser Saison stellt der 1. FC Heidenheim das höchstgelegene Stadion der Bundesliga. Mittlerweile im Oberhaus angekommen, werden Fans vor Ort stets daran erinnert, wo der Verein herkommt: Zu Landesliga-Zeiten hätten sich die Ostälbler zu gern ein Clubhaus neben ihren Sportplatz gebaut, mussten aber mit einer provisorischen Bretterbude Vorlieb nehmen. Über die Jahre wird „Liko’s Kiosk“ zum Heiligtum. Beim Stadionausbau steht ein Abriss nicht zur Debatte, der Architekt muss die neue Tribüne um den Kiosk herum bauen. Nur in Heidenheim hat man heute beim Würstchenholen eine derart ungehinderte Sicht auf das Spielfeld.
Villingen-Schwenningen: Stadionatmosphäre im Wohnzimmer
Wenn die EM 2024 nach Deutschland kommt, feiert ein Fußball-Original aus dem Süden sein 100-jähriges Jubiläum: Tipp-Kick bringt damals wie heute der Deutschen liebstes Spiel in die heimischen Wohnzimmer. Ein Stuttgarter Möbelfabrikant verscherbelte 1924 sein Patent für kleine Zinnfiguren mit beweglichem Fuß. Er hielt seine Idee für wertlos. So kann man sich täuschen. Der Schwenninger Edwin Mieg kaufte ihm das Patent ab und stellte die Figuren samt eckigem Ball zwei Jahre später auf der Nürnberger Spielwarenmesse vor. Tipp-Kick gibt es bis heute fast unverändert. So richtig original ist es nur, wenn es in Schwenningen hergestellt wird.
Ostfildern: Die Neuerfindung des Fußballs
Begriffe wie „Viererkette“, „Ballorientierung“ und „Verschieben“ kursieren heute wie selbstverständlich. Als sie in den 1980er-Jahren von einer südwestdeutschen Trainerschule eingeführt wurden, kam das manchen wie die taktische Neuerfindung des Fußballs vor. Federführend war der Stab um Helmut Groß, Ralf Rangnick und weitere Fachleute des Württembergischen Fußballverbandes. Einige Kniffe hatte man sich von Dynamo Kiew abgeschaut, die regelmäßig in der Sportschule in Ostfildern-Ruit zu Gast waren. Der Vorsprung der württembergischen Trainerschule hatte zwischenzeitlich dazu geführt, dass ein Drittel aller Bundesligatrainer aus dem Fußballsüden stammte.
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